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Agroforstsysteme mit Potenzial – INTEGRA liefert neue Impulse für Bestäuber und Biodiversität

Aktualisiert: 9. Juli

Wie blühende Bäume zur Lebensgrundlage für Wildbienen werden und warum das deutsche Recht dabei (noch) im Weg steht: Der Abschlussbericht und zwei neue Publikationen aus dem INTEGRA-Projekt der Universität Freiburg geben spannende Einblicke in die ökologischen Chancen und rechtlichen Herausforderungen von Agroforstsystemen.

Honig- und Wildbiene an violetter Blüte

Im Projekt INTEGRA hat die Universität Freiburg untersucht, wie Agroforstsysteme (AFS) zur Förderung von Bestäuberinsekten beitragen können. Der kürzlich veröffentlichte Abschlussbericht sowie zwei aktuelle wissenschaftliche Publikationen beleuchten die Chancen dieser Systeme als Nahrungsressource oder Nisthabitat für Bestäuberinsekten als auch rechtliche und praktische Hindernisse bei ihrer Etablierung und Pflege.


Was sind Agroforstsysteme?

AFS verbinden den Anbau von Gehölzen mit der landwirtschaftlichen Nutzung. Dadurch entstehen vielfältige, strukturreiche Lebensräume. Sie können entscheidend dazu beitragen, die Artenvielfalt auf Agrarflächen zu fördern, ökologische Funktionen zu stärken und gleichzeitig in Zeiten des Klimawandels wirtschaftliche Vorteile für Landwirtinnen und Landwirte zu generieren.

Blütenreichtum in 3D – warum Baumgröße für Bestäuber entscheidend ist

Im Projekt wurde eine Methode entwickelt, bei der mithilfe von terrestrischen Laserscans (TLS) von blühenden Bäumen und Feldzählungen ein 3D-Strukturmodell (QMS) verschiedener Baumarten erstellt wird. Anhand dieser Modelle konnten die Anzahl der Blüten sowie die Menge an Pollen und Nektar geschätzt und mit weiteren Baumparametern (z. B. Stammdurchmesser) korreliert werden. Auf diese Weise lassen sich Baumgrößen, Kronenvolumen und Blütenressourcen effektiv verknüpfen.


Ein Beispiel

Ein Wildkirschenbaum mit einem Stammdurchmesser von 25 cm hat ca. 195.000 Blüten, welche pro Tag ca. 57 cm³ Pollen und 170 g Nektar produzieren.1 


Davon könnten z.B. 5200 Larven der Breitkopf-Schmalbiene (Lasioglossum laticeps), welche als polylektischer Generalist sich u.a. von Kirschbäumen ernährt, versorgt werden. Ein Baum mit einem Stammdurchmesser von 10 cm produziert hingegen nur 8 % dieser Ressourcen. Dies verdeutlicht, dass alte und große Bäume für Bestäuberinsekten wichtiger sind als mehrere jüngere Bäume. Die Modelle wurden auch für weitere Baumarten berechnet und in das Agroforstplanungstool integriert, welches im Projekt INTEGRA entwickelt wurde. Es zeigt u. a., wann welche Baumart blüht und wie viele Bienenarten von ihr profitieren können. Zum Planungstool


Neue Erkenntnisse zu rechtlichen Rahmenbedingungen

Trotz neuer förderrechtlicher Impulse in den letzten Jahren hindert der aktuelle Rechtsrahmen weiterhin den flächendeckenden Ausbau von Agroforstsystemen. Das ist besonders kritisch, da der praktische Nutzen von AFS zunehmend sichtbarer wird und es bereits einige positive Beispiele in Deutschland gibt. AFS können neben positiven Effekten für die Biodiversität durch eine höhere Strukturvielfalt auch zusätzlich CO2 binden, die Bodenfruchtbarkeit erhöhen, Wasser aus tiefen Grundwasserschichten mobilisieren, das Mikroklima auf Agrarflächen verbessern und somit die Erträge auf den Flächen in Zeiten des Klimawandels diversifizieren und sichern. AFS können somit einen wichtigen Beitrag zu nationalen und internationalen politischen Zielen zum Schutz von Umwelt und Biodiversität leisten.

Im Projekt INTEGRA wurden zentrale Hindernisse identifiziert und konkrete Lösungsvorschläge erarbeitet.2 


Förderlücken und unklare Definitionen

  • Im Rahmen der GAP 2023–2027 können AFS erstmals über die Öko-Regelung 2 direkt gefördert werden.

  • Dennoch ermöglicht die Richtlinie keine adäquate Förderung für eine Vielzahl möglicher AFS-Kombinationen mit ihren jeweiligen Potenzialen und Risiken abzubilden.

  • Der Nachteilsausgleich im Vergleich zu intensiver konventioneller Landwirtschaft ist zu gering – dabei sind AFS oft eine Investition für Jahrzehnte, die mit hohem finanziellem Risiko verbunden ist.

 

Darüber hinaus führt die terminologische Differenzierung zwischen Kurzumtriebsplantagen, AFS, Streuobstwiesen und Hecken sowie der Ausschluss nichtproduktiver AFS, wie Windschutzhecken, zu einem uneinheitlichen Rechtsrahmen für verschiedene Systeme, die aus fachlicher Sicht als AFS bezeichnet werden können.


Auch wenn für viele AFS kein Nutzungskonzept mehr nötig ist, bleiben die Fördervoraussetzungen komplex. Gleichzeitig gelten Anforderungen aus dem Naturschutzrecht, obwohl AFS im Bundesnaturschutzgesetz nicht explizit erwähnt sind. So kann die spätere Entfernung von Gehölzen aus AFS in Schutzgebieten unzulässig sein. AFS hätten jedoch das Potenzial, einen Beitrag zu den Zielen des EU-Renaturierungsgesetzes zu leisten.

Die Autoren weisen daher darauf hin, dass die Definition von AFS angepasst und Ausnahmegenehmigungen für deren Anlage, Pflege und Beseitigung erlassen werden müssen, damit das Potenzial von AFS flächendeckend genutzt werden kann.


Lösungsvorschläge aus dem INTEGRA-Projekt

Im ersten Schritt sollte kurzfristig mehr Rechtssicherheit für alle in der Praxis relevanten AFS geschaffen und die Fördermaßnahmen auf EU-, Bundes- und Länderebene weiterentwickelt und vereinheitlicht werden. Mittelfristig sollten darüber hinaus das Ordnungs- und Förderrecht so angepasst werden, dass moderne und traditionelle AFS komplementär erfasst und gefördert werden können. Nur so kann sich das volle Potenzial für Bestäuberinsekten und die Förderung von Lebensräumen mit hoher Biodiversität entfalten. Langfristig wird empfohlen, im Rahmen der GAP vermehrt Ökosystemleistungen statt Flächenanteile zu fördern.


Die Autorinnen und Autoren empfehlen abschließend:

„Die Regulierung von Agroforstsystemen sollte so ausgerichtet sein, dass sie zur Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Landnutzung beiträgt, also die entsprechenden Potenziale stärkt und Risiken minimiert.“


 

Weitere Informationen und Handlungsempfehlungen

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